Wie viel Rechte braucht die Polizei?

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Wie viel Rechte braucht die Polizei in der Schweiz? Diese Frage versucht dieser Artikel zu beantworten.

Rechtsgrundlagen

Die beiden wichtigsten Rechtsgrundlagen für polizeiliches handeln sind die Strafprozessordnung (StPO) und das jeweilige kantonale Polizeigesetz (PolG).

Die StPO kommt zur Anwendung in Zusammenhang mit Strafverfahren, beispielsweise wenn ein Einbrecher verhaftet wird, oder wenn die Polizei bei einer Verkehrskontrolle Drogen findet. Ab diesem Zeitpunkt greifen die Bestimmungen der StPO.

Das PolG hingegen umfasst alle anderen polizeilichen Massnahmen, zB dass die Polizei das Recht, unter bestimmten Umständen einen Ausweis zu verlangen (auch ohne konkreten Verdacht auf eine bestimmte Straftat).

Braucht die Polizei mehr Rechte als normale Bürger?

Die Frage ist berechtigt. Wieso sollte eine Personengruppe besondere Rechte haben und damit bevorzugt behandelt werden gegenüber anderen Personengruppen?

Im Falle der Polizei ist es so, dass staatliche Massnahmen (Durchsetzung des Rechts, Verhaftungen, Stoppen eines Angreifers, etc) in wenigen Fällen als allerletztes Mittel nur mit Gewalt durchsetzbar sind.

Aus diesem Grund muss der Rechtsstaat über ein Werkzeug verfügen, nötigenfalls das Recht oder eine notwendige Amtshandlung auch gewaltsam durchzusetzen. Es wäre aber nicht sinnvoll, wenn jeder Bürger einfach nach Gutdünken seine Meinung gewaltsam durchsetzen darf.

Neben der körperlichen und Waffen-Gewalt als allerletztes Mittel benötigt die Polizei auch weitere Rechte wie zB das Recht eine Person zu kontrollieren (Ausweiskontrolle, Person durchsuchen, etc). Eine Privatperson hat dieses Recht nicht, auch wenn es ohne Gewaltanwendung ging. Die Befugnisse der Polizei erstrecken sich also nicht nur auf Gewalt als allerletztes Durchsetzungsmittel, sondern viel mehr auch auf polizeiliche Anweisungen, wie zB einen Ausweis zu zeigen, oder einen Ort zu verlassen, und so weiter.

Rechtsgrundlagen für die Polizeiarbeit

In der schweizerischen Bundesverfassung[1] heisst es:

Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns

1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.

2 Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.

3 Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.

4 Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.[1]

Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten

1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Aus­genommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.

2 Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.

3 Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein.

4 Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar.[1]

In der schweizerischen Strafprozessordnung[2] ist zu lesen, die Polizei darf

  • Personen einvernehmen (Art. 142)
  • in gesetzlich vorgesehenen Fällen Zwangsmassnahmen anordnen (Art. 198)
  • Personen zum Zwecke der Befragung, der Identitätsfeststellung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung ohne Beachtung besonderer Formen und Fristen vorladen (Art. 206)
  • Räumlichkeiten auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl betreten, wenn Gefahr im Verzug ist (Art. 213)
  • eine Person anhalt und wenn nötig auf den Polizeiposten bringen um ihre Identität festzustellen, sie kurz zu befragen, abzuklären ob sie eine Straftat begangen hat oder abzuklären, ob nach ihr oder nach Gegenständen in ihrem Gewahrsam gefahdent wird (Art. 215)
  • und muss eine Person vorläufig festnehmen und auf den Polizeiposten bringen, die sie bei einem Verbrechen oder Vergehen auf frischer Tat ertappt oder unmittelbar nach der Begehung einer solchen Tat angetroffen hat oder zur Verhaftung ausgeschrieben ist (Art. 217)
  • eine Person nach Begehung einer Übertretung vorläufig festnehmen und auf den Polizeiposten bringen, wenn die Person ihre Personalien nicht bekannt gibt, nicht in der Schweiz wohnt und keine Sicherheit hinterlegen kann oder um sie von weiteren Übertretungen abzuhalten (Art. 217)

.

Im Polizeigesetz des Kantons Zürich[3] erhält die Polizei folgende weiteren Rechte:

  • Die Polizei ist bei der Erfüllung ihrer Aufgaben an die Rechtsordnung gebunden. (§8)
  • Sie achtet die verfassungsmässigen Rechte und die Menschenwürde der Einzelnen. (§8)
  • Erfüllt die Polizei ihre Amts- und Berufspflicht, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, verhält sie sich rechtmässig, auch wenn die Tat nach dem Strafgesetzbuch oder einem andern Gesetz mit Strafe bedroht ist. (§8)
  • Die Polizei trifft im Einzelfall auch ohne besondere gesetzliche Grundlage unaufschiebbare Massnahmen, um unmittelbar drohende oder eingetretene schwere Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder zu beseitigen. (§9)
  • Polizeiliches Handeln muss zur Erfüllung der polizeilichen Aufgaben notwendig und geeignet sein. (§10)
  • Unter mehreren geeigneten Massnahmen sind jene zu ergreifen, welche die betroffenen Personen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen. (§10)
  • Die Massnahmen dürfen nicht zu einem Nachteil führen, der in einem erkennbaren Missverhältnis zum verfolgten Zweck steht. (§10)
  • Massnahmen sind aufzuheben, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. (§10)
  • Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Polizei im Rahmen der Verhältnismässigkeit unmittelbaren Zwang gegen Personen, Tiere und Gegenstände anwenden und geeignete Einsatzmittel und Waffen einsetzen. (§10)
  • Die Polizei darf eine Person mit Fesseln sichern, wenn der begründete Verdacht besteht, sie werde Menschen angreifen, Widerstand gegen polizeiliche Anordnungen leisten, Tiere verletzen, Gegenstände beschädigen oder solche einer Sicherstellung entziehen, fliehen, andere befreien oder selbst befreit werden, sich töten oder verletzen. (§10)
  • Bei Transporten dürfen Personen aus Sicherheitsgründen gefesselt werden. (§10)
  • Wenn es zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist, darf die Polizei eine Person anhalten, deren Identität feststellen und abklären, ob nach ihr oder nach Fahrzeugen, anderen Gegenständen oder Tieren, die sie bei sich hat, gefahndet wird und die Personen bei Schwierigkeiten bei der Abklärung auf eine Dienststelle bringen. (§10)
  • Die Polizei darf eine Person von einem Ort wegweisen oder für längstens 24 Stunden fernhalten, wenn die Person oder eine Ansammlung von Personen, der sie angehört, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, wenn die Person oder eine Ansammlung von Personen, der sie angehört, Dritte erheblich belästigt, gefährdet oder unberechtigterweise an der bestimmungsgemässen Nutzung des öffentlich zugänglichen Raumes hindert, wenn Einsatzkräfte wie Polizei, Feuerwehr oder Rettungskräfte behindert oder gefährdet sind, wenn die Person selber ernsthaft und unmittelbar gefährdet ist, zur Wahrung der Rechte von Personen, insbesondere zur Wahrung der Pietät. (§33)
  • Widersetzt sich eine Person der angeordneten Wegweisung oder Fernhaltung, darf die Polizei sie zu einer Polizeidienststelle bringen und ihr dort mittels Verfüg ung verbieten, den betreffenden Ort zu betreten. (§34)

Grenzen der Polizeibefugnisse

Die Polizei hat allerlei Befugnisse, von Identitäsfeststellungen, polizeilichen Vorführungen über Durchsuchungen des Körpers oder der Wohnung bis hin zu präventiven Wegweisungen.

Doch wo liegen die Grenzen? Darf ein Polizeibeamter eigentlich wenn er jemanden für verdächtig hält, aber nichts gegen die Person vorliegt einfach aus einem Gebiet wegweisen oder die Person einfach für ein paar Tage inhaftieren?

Nein, natürlich nicht. Einerseits müssen solche Massnahmen im Einzelfall begründet sein, dh es müssen bestimmte Umstände vorliegen, die die Massnahme rechtfertigen. Andererseits müssen die Massnahmen verhältnismässig sein (siehe auch Verhältnismässigkeit).

Diese Verhältnismässigkeit wird uA in Art. 5 der schweizerischen Bundesverfassung[1] sowie in §5 des zürcherischen Polizeigesetzes[3] erwähnt. Das bedeutet auch, dass jede Personenkontrolle, jede Wegweisung, jede Verhaftung verhältnis sein muss, dh die Massnahme muss geeignet sein, um einen polizeilichen Zweck zu erfüllen, sie muss notwendig und auch das geringste mögliche Mittel für den polizeilichen Zweck sein. Unter mehreren möglichen Massnahmen muss diejenige Massnahme gewählt werden, die am wenigsten Einschränkend für die Betroffenen ist, und die Einschränkung darf für die betroffene Person insgesamt nicht in einem erkennbaren Missverhältnis zum angestrebten Ziel stehen.[3][4]

Darf die Polizei ihre Befugnisse überschreiten und was wären die Konsequenzen?

Fallbeispiel 1: Was ist nun, wenn ein Polizeibeamter eine Person verdächtig findet, durchsucht, die Identität feststellt und kein Fehlverhalten feststellt? Es handelt sich um 3 Jugendliche mit einem Bier in der Hand und das Bauchgefühl sagt klar, dass diese Jugendlichen heute noch Ärger machen könnten. Die Polizeibeamten würden die Personen gerne auf den Polizeiposten nehmen oder für 24 Stunden wegweisen.

Fallbeispiel 2: Eine Gruppe Jugendlicher macht eine unbewilligte Demonstration (10 Teilnehmer), blockieren dazu eine Seitenstrasse. Diese unbewilligte Demonstration wird jeden Samstag am Bahnhof Winterthur durchgeführt. Es handelt sich faktisch um eine Gruppe von 10 Punks, die Schilder hochhalten, auf der Strasse sitzen und rumschreien.

Kann die Polizei in diesen beiden Fällen die Personen festnehmen oder wegweisen?

Nach den oben geschilderten gesetzlichen Grundlagen kann eine Festnahme in Fallbeispiel 1 nicht erfolgen, da die gesetzlichen Grundlagen dafür fehlen. Würde die Polizei die Personen festnehmen, würden sie sich wegen Freiheitsberaubung und Entführung sowie Amtsmissbrauchs schuldig machen. Eine Wegweisung kommt im Fallbeispiel 1 ebenfalls nicht in Frage, da kein begründeter Verdacht vorliegt, dass die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört werden durch die Personen oder kein anderer Grund nach §33 PolG/ZH[3] vorliegt.

Im Fallbeispiel 2 liegt die Sache anders: Es liegt eine Übertretung vor, und es besteht der begründete Verdacht, dass die Personen nach Auflösung der Demonstration sofort wieder loslegen, sobald die Polizei nicht mehr vor Ort ist. In diesem Fall wäre eine Wegweisung nach §33 PolG/ZH[3] gerechtfertigt. Ebenso kann ausnahmsweise eine vorläufige Festnahme nach Art. 217 StPO erfolgen, "um sie von weiteren Übertretungen abzuhalten". (§162 des zürcherischen Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG)[5] bestimmt noch, dass für eine vorläufige Festnahme bei Übertretungen nach Art. 217, Absatz 3 StPO[2] ein Polizeioffizier über die Verlängerung zu entscheiden hat.)

Im Fallbeispiel 2 müssen die Personen trotzdem innert weniger Stunden wieder freigelassen werden (Verhältnismässigkeitsprinzip), es ist jedoch eine Wegweisung möglich nach §33 PolG/ZH[3], da der begründete Verdacht besteht, dass die Personenansammlung die öffentliche Ruhe und Ordnung stört. Die Polizei kann die Personen für bis zu 24 Stunden wegweisen.

Die Polizei kann die Personen aber nicht für 8 Tage (damit auch der nächste Samstag abgedeckt ist) wegweisen, sofern nicht einer der besonderen Gründe für eine Wegweisung bis 14 Tage erfüllt sind. Zudem muss die Wegweisung geeignet sein, eine erneute unbewilligte Demonstration zu verhindern (das wäre zu bejahen), die Massnahme muss notwendig sein (ebenfalls zu bejahen) und die Einschränkung muss in einem ausgewogenen Verhältnis zum Zweck der Massnahme (Verhinderern, dass 10 betrunkene Punks eine Strasse blockieren) stehen.

Aus diesem Verhältnismässigkeitserfordernis muss die Polizei genauestens abwägen, wie weit die Wegweisung gehen muss. Weist die Polizei die Teilnehmer der unbewilligten Demonstration pauschal für 24 Stunden und aus der ganzen Stadt Winterthur oder gar dem ganzen Kanton Zürich weg, so verletzt diese Massnahme das Verhältnismässigkeitsprinzip und ist daher unzulässig. Wenn die befürchtete unbewilligte Demonstration immer direkt am Bahnhof Winterthur stattfindet und immer am Samstagnachmittag, so ist es nicht mehr verhältnismässig, wenn die Wegweisung darüber hinaus geht. Das bedeutet, die Polizei ist nur berechtigt, die Wegweisung räumlich und zeitlich so weit auszudehnen, dass der Zweck (Verhinderung einer Strassenblockade durch 10 Betrunkene) erreicht wird, ohne die betroffenen Personen unnötig einzuschränken.

Verhältnismässig könnte so eine Wegweisung sein, wenn sie sich auf den Zeitraum bis 22 Uhr oder bis Mitternacht beschränkt und auf das Gebiet um den Bahnhof Winterthur herum bis zu einem Abstand (Radius) von beispielsweise 500 Metern um den Bahnhof Winterthur. Zudem ist noch zu prüfen, ob allenfalls das Betreten des Bahnhofs zum Einstieg in einen Zug als Ausnahme in der Wegweisung genannt werden sollte.

Schlussfolgerung und Erkenntnisse

Die Polizei muss sich immer ans Gesetz halten. Wo sie mehr Befugnisse als andere Bürger benötigt, hat die Polizei (Parlament durch Gesetz, Regierungsrat durch Verordnungen) diese Rechte der Polizei zu erteilen. Das ist der einzige gangbare Weg in einem demokratischen Rechtsstaat.

Die Polizei benötigt also mehr Rechte als andere Bürger. Diese hat sie aber per Gesetz und Verordnung bereits erhalten. Die Polizei kann keine Rechte beanspruchen, die darüber hinaus gehen (ausser in Ausnahmesituationen gemäss Art. 36, Abs. 1 BV[1] oder nach §9 PolG/ZH[3]).

Würde die Polizei sich über das Gesetz hinwegsetzen, würde sie sich strafbar machen. Die Polizei macht sich durch Zwangsmassnahmen, Gewaltanwendung, etc. nur dann nicht strafbar, wenn die Polizei ihre Amts- und Berufspflicht, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, ausübt (§8, Abs. 3 PolG/ZH[3]). Handelt die Polizei ohne konkrete gesetzliche Grundlage, macht sie sich wie jeder andere Bürger auch strafbar.

Quellen