Behinderung ist umweltabhängig (Kommentar)

Aus Vierte Gewalt
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Kommentar vom 21.Juli 2022

Aus einer Twitter-Diskussion ergeben sich diese Schlussfolgerungen zur Frage, was eine Behinderung eigentlich zu einer Behinderung macht.[1]

Was macht Autismus oder das Asperger-Syndrom zu einer Behinderung? Ich verglich die Einschränkungen in der Kommunikation und der sozialen Interaktion damit, dass jemand nicht chinesisch versteht und nach China reist. Dann ist er "behindert" in dem Sinne, dass die Person nicht vollständig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, weil die Person die Sprache nicht verstehen kann. Das Gegenargument war nun, dass man ja chinesisch lernen könnte.

Dem ist jedoch zu widersprechen. Wenn man die Behinderung durch Lernen einer Sprache beheben kann, ist es trotzdem eine Behinderung, solange man die Sprache nicht lernt. Als Vergleich: Jemandem wurden die Beine amputiert. Auch wenn es in Zukunft möglich wäre, Beine zu klonen und anzunähen, so wären amputierte Beine trotzdem eine Behinderung, bis die Klonbeine angebracht werden.

Auch eine behebbare Behinderung ist demnach eine Behinderung, solange die Behebung nicht statt fand.

Daraufhin meinte ich, dass man zumindest teilweise die soziale Interaktion und Signale lesen (Körpersprache, Ironie, "zwischen den Zeilen") lernen könne.

Anderes Beispiel von mir war: Wenn man unter 150 cm als behindert gilt (ist scheinbar in Deutschland so), so wäre das doch nicht mehr der Fall, wenn man in ein Land ziehen würde, wo das der Durchschnittsgrösse entspräche.

Das Gegenargument hier war dann, dass man als Asperger-Autist beispielsweise beim Kochen mit 3 Töpfen/Pfannen überfordert wäre von der Reizüberflutung, und diese Behinderung würde auch bestehen, wenn man in ein Land ziehen könnte, wo das alle hätten.

Nun gut. Aber wieso sollte man da noch behindert sein, wenn man in einem Land leben würde, wo alle von Reizüberflutung usw. überfordert sein können? Das würde doch dort als normal angesehen werden.

Wenn jemand nicht in der Lage ist, 2 jeweils 10-stellige Zahlen miteinander zu multiplizieren (im Kopf), zählt das ja auch nicht als Behinderung, weil das fast niemand kann. Oder nicht fliegen oder nicht ohne Atmen über 10 Minuten auskommen, gilt auch nicht als Behinderung.

Damit will ich sagen: Die Reizüberflutung,oder stereotype Verhaltensweisen, mangelnde kommunkative Fähigkeiten, etc. gelten nur als Behinderung, weil es von der Norm abweicht. Im Land wo jede 20-stellige Zahlen im Kopf multipliziert, wäre jeder, der das nicht kann, behindert.

Das mit der Multiplikation grosser Zahlen: In einer Gesellschaft wo das jede kann, wäre die Gesellschaft auch so ausgelegt, dh es gäbe keine Taschenrecher (auch keine App dazu), weil es die nicht bräuchte. Jeder, der das nicht könnte, wäre dadurch behindert.

Unter 150cm gilt man als behindert. Nehmen wir an, ich wäre 190cm und somit nicht behindert. Ziehe ich nun in ein Land, wo alle Menschen 250cm gross sind, wäre ich behindert, weil dort alles so aufgebaut wäre (Treppenstufen etc), dass für 250cm grosse Leute passt.

Das heisst eben auch, dass eine Behinderung nur eine Behinderung ist, wenn das was die Behinderung ausmacht auf eine Situation trifft, die zu einer Beeinträchgung führt. Für 3-beinige Ausserirdische sind wir auch alle behindert.

Weiteres Beispiel: Unter einem IQ von 70 gilt man als behindert. 100 ist der Schnitt der Bevölkerung (wird immer so genormt, dass 100 der Schnitt ist). Nehmen wir an, 100 IQ-Punkte wäre ein absoluter Wert, nennen wir es 100 Denkpunkte DP. Und dieser Wert bliebe absolut gleich.

Unter 70 DP gilt man als behindert, ab 130 als hochbegabt. Im Jahr 2050 wäre aber die Intelligenz der Menschen so weit gestiegen, dass ein DP von 120 Durchschnitt wäre. Behindert wäre man dann schon unter 85 DP. Dh wer vorher nicht behindert war, wird es durch Verschiebung Skala.

Beim IQ ist es ja so: 100 ist immer der gesellschaftliche Durchschnitt genormt. Die Intelligenz wächst also. Was heute 100 ist, war vor 50 Jahren vielleicht noch 110. Wer vor 50 Jahren einen IQ von 75 hatte, hätte mit heutigen Tests vielleicht noch 68 und wird dadurch behindert.

Diese Beispiele zeigen: Jede Einschränkung gilt nur als Behinderung, weil die Gesellschaft nicht auf diese Einschränkung ausgelegt ist.

Wir alle haben noch viel grössere Einschränkungen, wie zB nicht fliegen zu können. Diese gelten jedoch nicht als Behinderung, weil wir alle nicht fliegen können.

Schlussfolgerung und Erkenntnis

Die Behinderung setzt sich daher immer aus 2 Faktoren zusammen:

  1. Einer konkreten erkennbaren Eigenschaft in einer Person und
  2. externen Faktoren, die die Person in Kombination mit der Eigenschaft einschränken.

Jeder Mensch hat Einschränkungen. Ob diese als Behinderung gelten, lässt sich erst definieren anhand der dadurch auftretenden Einschränkungen der eigenen Möglichkeiten. Diese sind wiederum abhängig vom Status der Bevölkerungsmehrheit.

Ob ein Overload bei Autisten eine Behinderung darstellt, ist also davon abhängig, ob man dadurch mehr eingeschränkt wird, als der Durchschnitt der Gesellschaft.

Ob die Unfähigkeit zu fliegen eine Behinderung darstellt, hängt davon ab, ob man in einer Gesellschaft oder Tierart lebt, wo die anderen fliegen können.

Dieser Schlussfolgerung folgen auch die einschlägigen Gesetze im deutschsprachigen Raum.

Gesetzliche Definition von Behinderung

Hier wird anhand der entsprechenden Gesetze in Deutschland und der Schweiz untersucht, wie sich Behinderung definiert.

Quellen